Geschichte der Fotografie

Camera: damals 1. Jahrgang Nr. 3 September 1922

Von Prof. Dr. J. M. Eder

Die erste Photographie auf Glas von Joseph Nicéphore Niépce mit lichtempfindlichem Asphalt vor hundert Jahren

Die Erfindung der Photographie mit Silbersalzen in ihren ersten Anfängen erreicht nunmehr ein Alter von 195 Jahren: Im Jahre 1727 entdeckte Heinrich Schulze, Professor der Medizin und alter Sprachen an der alten deutschen Universität Altdorf (in der Nähe von Halle a. d. Saale) die Lichtempfindlichkeit eines Breies von Silbernitrat und Kreide, welchen er in einer Glasflasche hinter Schablonen dem Sonnenlichte aussetzte und damit Schriftzüge mittels Lichtstrahlen einschrieb. 

Später fand Hellot in Paris (1737), dass Silbernitrat auf Papier im Sonnenlicht sich schwärzt und benützte dies als Geheimschrift (sympathetische Tinte). Der Italiener Johann Baptist Beccarius, Professor der Physik in Turin, machte 1757 dieselbe Beobachtung mit Chlorsilber in Glasflaschen wie seinerzeit Schulze mit silberhaltigem Brei, und der Schwede Scheele experimentierte 1777 mit Chlorsilberpapier im Sonnenspektrum und entdeckte die photographische Überlegenheit der blauen Lichtstrahlen gegenüber den gelb-roten Strahlen.

Im Jahre 1802 stellte der Engländer Thomas Wedgewood mittels Silbernitratpapier Kopien von Pflanzenblättern, Insektenflügeln und Glasmalereien her. Der berühmte Chemiker Davy teilte im Anschluss daran mit, dass man im Sonnenmikroskop (also im Projektions-Vergrößerungs-Apparat) Lichtbilder auf Chlorsilberpapier erhalten könne, wobei er ganz richtig beobachtete, dass Chlorsilberpapier viel empfindlicher als Silbernitratpapier sei. Das Fixieren solcher Lichtbilder gelang aber keinem dieser Forscher.

Joseph Nicéphore Niépce ging aber ganz andere Wege, welche ihn zur Herstellung von photographischen Glasbildern und zur Erfindung der Photogravure führten. Er sah von der Verwendung der Silbersalze ab und wendete sich mit Erfolg dem Studium lichtempfindlicher Harze zu. Wie kam er aber auf diese Idee? Um dieses Stadium der Erfindungsgeschichte der Photographie zu verstehen und voll würdigen zu können, muss man sich der Erfindung der Lithographie durch Alois Senefelder in München 1798 erinnern. Senefelder entdeckte, dass der Solenhofener Kalkstein ein vortreffliches Material sei, um Abdrücke in fetter Farbe herzustellen. Im Jahre 1802 wurde die Erfindung der Lithographie und des Streindruckes in Frankreich bekannt, fand aber wenig Beachtung.

Erst im Jahre 1814 errichtete Graf Lasteyrie-Dussaillant die erste lithographische Anstalt in Paris nach dem Münchner Vorbilde. Auch Nicéphore Niépce wendete ihr seine Aufmerksamkeit zu und versuchte zunächst einen Kalkstein mit einem Firnis zu überziehen, zu gravieren und zu ätzen. Hierbei war er auf verschiedene Harzfirnisse aufmerksam geworden, bei denen mitunter auch Asphalt in Verwendung kam. Es entging Niépce nicht, dass in der chemischen Literatur die Lichtempfindlichkeit gewisser Harze registriert war.

Die erste Beobachtung dieser Art hatte wohl der deutsche Apotheker Hagemann im Jahre 1782 publiziert, indem er mitteilte, dass das gelbliche Guajac-Holz im Lichte mit blauer Farbe nachdunkelt. Im selben Jahre fand auch der Franzose Senebier, dass viele andere Harze im Sonnenlichte teils nachdunkeln, teils ausbleichen; aber Senebier selbst erkannte die Priorität Hagemanns an.

Diese Lichtempfindlichkeit des Guajac las Niépce in der chemischen Literatur und versuchte auch Lichtbilder auf Papier damit herzustellen; jedoch ergaben sich keine brauchbaren Resultate, und die Versuche, solche Bilder mit Alkohol zu fixieren, waren erfolglos. Trotz dieses Misserfolges ließ sich Niépce von seinen Versuchen mit lichtempfindlichen Harzen nicht abschrecken und wendete sich zunächst von den Silbersalzen ab; er entdeckte die besondere Lichtempfindlichkeit des Asphaltes, und diese sollte ihn zur Erfindung des heliographischen Ätzprozesses, zur Herstellung von Glasbildern und auf einem langwierigen Umwege zur Herstellung von Photographien in der Camera obscura führen.

Im Jahre 1816 stellte Niépce die ersten gelungenen Photographien und Metallätzungen auf Metallplatten im Kopierverfahren nach Kupferstichen her, und so wurde er vor 106 Jahren der Erfinder des ersten heliographischen Ätzprozesses. Er begnügte sich aber nicht damit, sondern erstrebte Photographien auf Glas und erreichte dieses Ziel vor 100 Jahren. Aus einem Briefe vom 12. Juli 1822 von Nicéphore Niépce an seinen Bruder Claude erfahren wir, dass der erstere ein Porträt Pius' VII. (einen Kupferstich) auf Glas kopiert habe, welches die Bewunderung aller erregte, welche dieses Lichtbild sahen. Der General Poncet du Maupas, ein Vetter der Gebrüder Niépce, sah das Glasbild und erbat es sich von Nicéphore Niépce. Er nahm es auf seinen Reisen mit, und als eines Tages ein Bewunderer dieser Arbeit die Glasplatte zufällig aus der Hand fallen ließ, zerbrach sie, und so ging diese älteste Photographie von Nicéphore Niépce, welche in fremde Hände gelangte, verloren.

Erst viel später (1824) gelang es Niépce, die Umrisse einer Photographie einer Ansicht in der Camera obscura zu erhalten. Er arbeitete damals schon mit Asphaltschichten auf metallischen Silberplatten, wobei allerdings das weiße Silbermetall nur als helle Unterlage für das dunkle Asphaltbild diente. Erst im Zusammenwirken mit Daguerre wurde später die Photographie auf jodierten Silberplatten in der Camera erfunden und die Rückkehr zu den Silbersalzen vollzogen. Aber der Weg zur Erfindung der Daguerreotypie führte über die Niépcesche Erfindung der Photographie mit Asphalt. Und so haben wir einen begründeten Anlass, der erwähnten wichtigen Epoche in der Entwicklungsgeschichte der Photographie vor 100 Jahren zu gedenken, welche mit dem Namen Nicéphore Niépces untrennbar verbunden ist.

 

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